Buchtipp in Sachen NSU und Verfassungsschutz

Uwe Mundlos, einer von vermeintlich “nur” drei Mitgliedern des engsten Kreises des sog. NSU, wurde im Zeitraum 1994-1995 während seines Wehrdienstes, vom MAD (Amt für Militärischen Abschirmdienst) angesprochen, ob er nicht als V-Mann tätig sein möchte. Trotz oder eben gerade wegen seiner extrem nationalistischen Gesinnung, die er dem Vernehmen nach nicht im Geringsten verbarg, mag jeder Leser für sich beurteilen.  Mundlos – so die Überlieferung – verneinte, der MAD schloss die Akte und verschickte Kopien des Gesprächsprotokolls an verschiedene Verfassungsschutzämter sowie an das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Dennoch behauptete das Amt im Nachgang zum Tod “der beiden Uwes” bis zum September 2012, es habe keinen Kontakt zu Mundlos gehabt und dementsprechend auch keine Unterlagen geführt, die zur Aufklärung der NSU-Morde beitragen könnten. Später sagte Thomas de Maiziere, sein Ministerium habe in dieser Angelegenheit “unsensibel” gehandelt, ansonsten sei dem Verteidigungsministerium aber nichts vorzuwerfen. Nicht nur der MAD, sondern auch die anderen Empfänger aus dem Jahr 1995 versuchten diese Akte gegenüber diversen Untersuchungsausschüssen zu unterschlagen.

Als eines von mehreren weiteren Beispielen, dass sowohl die Polizei als auch die Geheimdienste die “untergetauchten” rechtsextremen Terroristen und ihre Unterstützer alles andere als aus den Augen verloren hatten, erinnert Buchautor Wolf Wetzel in seinem absolut lesenswerten Buch “Der NSU-VS-Komplex” an jenen Geheimdienst-Referatsleiter, der angeblich in eigener Regie wenige Tage nach dem Auffliegen des NSU sechs Dossiers mit Abhörprotokollen in rechtsradikalen Gruppen geschreddet hat. Die im Unrast-Verlag erschienene Publikation arbeitet bei ihren plausiblen Fragen zur (Mit-)schuld des Verfassungsschutzes an u.a. neun Morden an Migranten seit 2001 mit Verweis auf die Geschichte von GLADIO, bietet also auch Hintergründe zu den während des kalten Krieges europaweit geheim operierenden rechtsextrem geprägten Armeen, die mit Terroranschlägen im Auftrag westlicher Geheimdienste letztlich wohl primär die Bevölkerungen einschüchtern sollte. Gleichzeitig stellten die Regierenden diese Anschläge perfiderweise als Taten linker Gruppen dar, um deren Bewegung zu diskreditieren.

Nimmt man die nach der u.E. fraglos gezielten Aktenvernichtung offiziell übrig gebliebenen Informationen oder verschiedenste, teils widersprüchliche Aussagen beteiligter Beamten zum gleichen Tathergang, so drängt sich – und somit eben auch beim Lesen von Wetzels Ausführungen – der starke Verdacht auf, dass gewisse Staatsorgane die drei, vier (Stichwort das kaum mehr von den Mainstreammedien beachtetes Bekennervideo mit vier “Paulchen Panther Köpfen) oder wer weiß wieviele “originäre” NSU-Leute jahrelang gewähren ließ.

Für den ehemaligen “L.U.P.U.S.- Gruppe”-Autor (bekannt und wie es der Mainstream wohl formulieren würde “umstritten” u.a. durch Anti-Golfkriegskampagnen sowie einer Bundestagsblockade gegen die Abschaffung des Asylrechts) liegt ein wesentliches Motiv dieser Mordserie darin, dass staatliche Behörden die Möglichkeit hatten, die ermordeten Kleinhändler der organisierten Kriminalität im ausländischen Milieu zuzuschreiben: “Die Instrumentalisierung dieser Mordserie als Beweis für die sicherheitspolitische Leitlinie, dass hier unauffällig lebende Ausländer Deutschland zum Schauplatz der kriminellen Machenschaften machen, was mit der Bezeichnung ‘Döner-Morde’ und der Namensgebung für die eingesetzte Sonderkommission ‘Bosporus’ mehr als deutlich unterstrichen werden sollte.”

Wetzel erinnert wichtigerweise auch gezielt daran, wie in Deutschland rechte Gewalt nach der Wiedervereinigung hochkam, an Übergriffe auf Asylbewerberunterkünfte, daran, dass die Polizei nicht selten tatenlos zusah und wie danach schließlich von Medien und Politik nicht wenigstens eine Debatte über Rassismus in der Mitte unserer Gesellschaft begonnen wurde, sondern zur de-facto-Abschaffung des Asylrechtes geschritten wurde – was wiederum sicher nicht wenige Neonazis als Rückenstärkung für ihr ausländerfeindliches Handeln verstanden haben…

Im Zentrum des Buchs steht aber ganz klar der Verfassungsschutz: während in den 1970er und 80er Jahren nur wenige Stimmen eine Abschaffung forderten, 1990 fast nur mehr das “Komitee für Grundrechte” für ein “Entledigen” dieser Organe plädierte (“Wie die nahezu 40jährige Geschichte der “Ämter der Verfassungsschutz” zeigte, sind verdeckt operierende Nachrichtendienste auch im Rechtsstaat weder rechtlich begrenzbar noch parlamentarisch kontrollierbar. Ihre Rechtsbrüche und Skandale sind systembedingt. Politische Geheimdienste zur Überwachung der Bevölkerung in einer Demokratie, auf Grundrechtschutz und Rechtsstaatlichkeit verpflichteren Verfassungsordnung machen nicht nur Fehler – sie sind der Fehler”) werden nun gut 20 Jahre später kritische Stimmen wieder lauter. Doch nach Wetzel sollte man genau hinhören, wer was fordert, es gebe nicht wenige, die eine “Reorganisation” im Schilde führen, die eine noch engere Bindung von Polizei und Geheimdienst bedeute.

Dabei gebe es ohnedies bereits beängstigende Verzahnungen: seit 2004 das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum GTAZ; seit 2007 eine gemeinsame “Antiterrordatei”; neu geschaffen wurden das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus GAP und das das Gemeinsame Extremismuszentrum GETZ.

Abschließend erinnert Wetzel klar, dass sich absehbar keine der Parteien ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen wird, und so ruft er auf, mit kleinen praktischen Schritten dem Ziel Stück für Stück näher zu kommen. Zum Beispiel indem man Spitzel gezielt outet und sie in einer bundesweiten Datei über aufgeflogene V-Leute erfasst, was Nachrichtendiensten erschweren könnte, neue anzuwerben und alte zu halten.

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